Liebe Freunde von El Tucan
Schnee und Sonne wechseln sich in den letzten Tagen immer wieder ab. Winter und Frühling ringen miteinander und in diesem Jahr scheint der Winter uns seine Schönheit wieder und wieder zeigen zu wollen. Doch der Frühling bereitet sich vor, unsere Bienen haben ihre ersten Flüge unternommen und im Wald reckt sich der Bärlauch langsam aber sicher in die Höhe.
Nachdem wir während den Produzentenbesuchen im Februar uns noch den letzten Schliff für die kommende Zeit gegeben haben, sind wir jetzt bereit und freuen uns, wenn sich der Frühling dann so richtig zeigt.
Auf unserem Blog haben wir immer mal wieder einige Impressionen von unseren Besuchen in Lateinamerika für sie aufgeschaltet.
Was sind für Sie die wichtigsten Kriterien des fairen Handels? Und was ist eigentlich für die Produzentin der wichtigste Impuls aus der Armut, welcher sie in 20jähriger Zusammenarbeit mit El Tucan erhalten hat?
Diese Frage stellten wir Rosa Ajpacaja im Rahmen unserer Selbstbeurteilung zur Erneuerung der World Fair Trade Organisation (WFTO) Zertifizierung.
„Als ihr mir geholfen habt meinen Tagesablauf und meinen Arbeitsplatz zu strukturieren", war die klare, spontane Antwort von Rosa.
Für uns eher erstaunlich, haben wir Rosa doch mit verschiedenen zinslosen Kleinkrediten, Schulungen, Nähkurse und ähnlichem unterstützt. Oder die bezahlten Preise für das Nähen! Doch nichts von all dem stand bei ihr an erster Stelle.
Und ich erinnere mich gut an den Moment in einem Restaurant in Totonicapan. Ein Morgen, niemand im Restaurant, nur Rosa war da mit ihrer Schwester Santa, ich, Peter Höltschi und Sarah Frei, Ethnologin, welche gerade ein Praktikum bei El Tucan begann.
Crash-Kurs nannte Sarah Frei später den Moment, an welchem ich Rosa anhand meiner Schreibmappe darstellte, wie wichtig es ist, alle Arbeitsmaterialen griffbereit zu haben. Ich rechnete ihr vor, wie viel Arbeitszeit sie im Jahr verliert, wenn sie immer bei Arbeitsbeginn 10 Minuten verbraucht, um ihr Metermass und ihre Schere zu suchen.
Gleichzeitig erzählte ich ihr von Tagesstrukturen in der Schweiz. Aus Mexiko, von Müttern, welche sich organisieren und die Kinder abwechselnd Gruppenweise zur Schule bringen und so viel mehr Zeit zur Verfügung haben.
Schon ein paar Jahre zuvor bezahlte ich Rosas Mann ein paar Arbeitstage, welche den einzigen Zweck hatten, Sauberkeit und Ordnung ins Haus zu bringen.
Und so begann sich Rosa mit ihren Schwestern zu organisieren. Eine kocht für alle, eine bringt alle Kinder gleichzeitig zur Schule und so ergibt sich Mehrzeit. In dieser Zeit kann man produzieren und erarbeitet sich selbständig mehr Einnahmen. Ohne Lohnerhöhung oder weiterer Hilfe von aussen. Selbständig und alleine.
Als Sarah Frei dann ein paar Wochen später in ihrem 3monatigen Guatemalaaufenthalt mit Rosa weiter an diesem Thema arbeiten wollte, hatte sich schon alles eingelebt und weitere Kurse zum Thema „Haus- und Ehefrau, Mutter, Produzentin, wie organisiere ich meinen Tagesablauf?", waren nicht mehr von Nöten.
Rosa war auch unsere erste Produzentin welche sich zum Besuch eines Nähkurses motivieren liess.
Bei Intecap, einer guatemaltekischen Organisation welche sich der technischen Schulungen und Ausbildungen verschrieben hat, kaufen wir Schulungskurse für unsere Schneiderinnen und Schneidern ein. Asistencia tecnica, technische Unterstützung nennt sich dieser Kurs, der jeweils 17 Wochen dauert. Während diesen 17 Wochen kommt einmal wöchentlich ein Lehrer zum Schneider nach Hause und gibt ihm persönliche Schulung.
So auch wieder zu Beginn Februar dieses Jahres. Zusammen mit dem Kursleiter und den beiden beteiligten Schneidern galt es die Ziele und den Zweck dieser Schulung zu definieren. Der 50 jährige Miguel hat schon in jungen Jahren mit dem Nähen begonnen, wogegen der 20jährige Servando sich erst seit wenigen Jahren mit diesem Metier beschäftigt und die Grundlagen nie richtig zu beherrschen lernte.
Aus diesem Grund war das Thema der Kurse im Jahre 2012 das Kennenlernen der verschieden Grundlagen, das Anzeichnen, das Schneiden, und das Anwenden der verschiedenen Schnitte.
Leonardo, der Lehrer von Intecap will damit den Schneidern die Grundlagen ihres Handwerkes lernen.
„Beherrsche ich die Grundlage, kann ich sie später in allen verschieden Variationen anwenden", ist seine Aussage und fast schon seine Mission.
In Guatemala nennt man Kleidersammlungskleider Ropa Paca, welche zu Schleuderpreise an Frau und Mann gebracht werden. Durch diese Billigstprodukte, wo eine Hose 1 bis 2 Franken kostet, ist den Schneidern vor 30 Jahren eine Konkurrenz entstanden, welche unglaublich verheerende Einschnitte in die Textilproduktion gebracht hat. In diesem Verdrängungskampf verloren nach Aussage von Leonarde mehr als 80% der Schneider ihre Lebensgrundlage. Ältere Schneider werkelten noch ein wenig weiter, doch die Jungen fanden in diesem Metier kein Auskommen mehr und mussten sich beruflich verändern. Somit ging das Knowhow einer ganzen Generation verloren.
Leonardos Traum ist die Weitergabe seines Wissens an eine neue Generation von Schneidern, um diesen Wissenstand in seinem Land am Leben zu erhalten.
Wir von El Tucan sehen dies so ähnlich wie das Strukturieren des Arbeitstages. Durch diese verschieden Aktivitäten nimmt das Knowhow unserer Produzenten stetig zu. Dies erlaubt die Produktion neuer, aufwendiger geschnittener und genähter Produkte. Neue Produkte, neue Einkommensquellen für die Produzenten.
Denn dies ist es was alle wollen.
Gleichzeitig werden die Produzenten auch für eine El Tucan unabhängige Zukunft vorbereitet, wo sie sich in einem lokalen Markt behaupten können. Produzieren für den örtlichen Markt, für die Nachbarn, für Kunden aus der Umgebung, für die Touristen auf dem Markt, für alle die schöne Produkte kaufen wollen. So dass unsere Produzenten selbständige Künstler werden, ausgebildet sich in einem armen Land den Lebensunterhalt zu verdienen.
Dies ist eine der Arbeiten während unserer Produzentenbesuche.
Wir freuen uns hier anzusetzen und in unserer täglichen Arbeit hier weiterzuarbeiten.
Wir wünschen Ihnen allen einen schönen Frühling mit vielen bunten Blumen!
Herzlichst
Peter Höltschi und das El Tucan Team
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